Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Ernst Klett Verlages

Bildung für nachhaltige Entwicklung – dieses Themenfeld ist auch für berufsbildende Schulen (BBS) von großer Bedeutung. Damit wichtige Zukunftsfragen dort nicht nur theoretisch behandelt werden, wird die Umsetzung in die Praxis durch entsprechende Projekte angestrebt. „Ein Unternehmen aus unserer Region hat uns Anfang 2021 gefragt, ob wir uns an einem Projekt zur Entwicklung eines Wasserstofflastenfahrrades beteiligen wollen, das es bislang noch nicht gibt. Für mich war klar: Das müssen wir machen“, berichtet Dagmar Köhler. Sie unterrichtet Wirtschaft und Deutsch am Beruflichen Gymnasium Wirtschaft der BBS Burgdorf bei Hannover.

Über zwei Jahre haben sich ihre Schüler mit Themen rund um den wirtschaftlichen Teil des Projektes beschäftigt. In der 11. Klasse wurden zunächst allgemeine Fragen bei der Entwicklung und Einführung eines neuen Produktes im wöchentlich vierstündigen Fach Betriebswirtschaft, Rechnungswesen und Controlling behandelt.

Jetzt in der 12. Klasse arbeitet im zweistündigen Fach Praxis des Unternehmens eine Arbeitsgruppe mit Benjamin Behrens, Joscha Mack, Lukas Ruser und Patrick Stünkel selbstständig stärker an der konkreten Umsetzung. Sie haben ihre genaue Geschäftsidee präzisiert, eine Marktanalyse vorgenommen, eine Unternehmensstrategie entwickelt sowie ihr Vorgehen beim Marketing festgelegt und einen Finanzplan aufgestellt. Wie kann so ein Rad hergestellt werden, gibt es aktuell ähnliche Projekte, wo kann man die nötigen Zulieferteile bekommen, welche Risiken gibt es, wie kann man sich dagegen absichern? Letztlich geht es auch um die Frage: Wer ist bereit, 20.000 bis 30.000 Euro für ein Lastenfahrrad mit Wasserstoffantrieb auszugeben?

Solche und viele weitere Aspekte behandeln die Vier in ihrem Geschäftsplan, mit dem sie einen Preis beim Deutschen Gründerpreis gewonnen haben. Den Vorteil im Vergleich zu einem elektrisch angetriebenen Lastenrad sehen sie darin, dass durch einen Wasserstoffantrieb die Reichweite verlängert und die Tankzeit verkürzt wird. Als Zielgruppe haben sie Post- und Lieferdienste, Gewerbebetriebe, Handwerksbetriebe sowie kommunale Dienstleister identifiziert.

„Das ist eine revolutionäre Art zu unterrichten, weil man weiß, warum man etwas tut. Oft sieht man dagegen im Unterricht nicht den Bezug zur Realität“, sagt Lukas Ruser. „Für mich war es eine wichtige Erfahrung zu erleben, wie man ein Unternehmen gründet und wie man sein Projekt auf Messen vorstellt“, betont Benjamin Behrens. Er und seine Mitstreiter haben ihr Konzept unter anderem vor Unternehmern und Fachpublikum auf einem Startup-Day in Hildesheim und auf der Hannover Messe präsentiert.

Hohe Motivation: Alternativen zu fossilen Brennstoffen nutzen

Die Schüler arbeiten bei dem Projekt nicht nur mit dem Burgwedeler Unternehmen JA-Gastechnology GmbH als Auftraggeber zusammen, sondern auch mit einer Projektgruppe der Fachschule Fahrzeugtechnik an der BBS Burgdorf, in der fünf Schüler im zweiten Ausbildungsjahr kurz vor ihrem Abschluss zum staatlichen geprüften Fahrzeugtechniker stehen. Sie sind für die technische Entwicklung und Realisierung des neuartigen Gefährts mit zuständig. Wasserstofftanks und Brennstoffzelle müssen in der BBS-Werkstatt in das von der Radkutsche GmbH ursprünglich als E-Bike hergestellte Lastenfahrrad eingebaut werden. Zudem muss die elektronische Systemsteuerung von den Schülern nicht nur integriert, sondern zuvor erstmal entwickelt und programmiert werden.

„So ein komplexes Projekt ist gut für die Motivation der Schüler, die an Alternativen zu fossilen Brennstoffen interessiert sind“, sagt Studiendirektor Christoph Falkner. Er berichtet von großem Stress bei seinen Schülern, wenn notwendige Komponenten nicht wie zugesagt zu einem bestimmten Termin geliefert werden und das Scheitern droht. „Auch das ist eine wichtige Erfahrung, denn genau mit solchen Situationen werden sie später im Beruf konfrontiert. Sie müssen Probleme in der Produktion lösen und dafür eventuell auch Ziele korrigieren“, sagt Falkner.

Im Projekt gab es regelmäßig Besprechungen zwischen den beiden beteiligten Klassen sowie dem Auftraggeber, um sich gegenseitig über den aktuellen Stand zu informieren. „Kaufleute reden meist ausführlicher, die Techniker sind knapper in ihren Ausführungen. Unsere Schüler haben dabei gelernt, nachzufragen, wenn ihnen etwas nicht klar war“, sagt Köhler und fügt hinzu: „Das Verständnis dafür, dass man nur durch die Akzeptanz und gute Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten etwas erreichen kann, ist dadurch gewachsen. Das ist eine wichtige Erfahrung für den weiteren Berufsweg.“

Bei den Präsentationen ihres Prototypen auf Messen hat seine Schüler laut Falkner vor allem eines überrascht: „Sie wurden dort von Arbeitgebern angesprochen und zu Betriebsbesichtigungen eingeladen. Damit hatten sie nicht gerechnet – für sie ist es eine schöne Belohnung für ihren Einsatz, denn sie investieren jetzt in der Endphase viel zusätzliche Zeit, weil sie ein Ergebnis sehen wollen.“
Ob durch das Projekt auch das Bewusstsein für Fragen einer nachhaltigen Produktion gewachsen ist oder ob eher die Faszination für die Entwicklung neuer Technik bzw. deren Vermarktung dominiert? Für Köhler ist folgendes wichtig: „Die Schüler erleben, dass sie nicht Spielball sind, sondern bei wichtigen Fragen für Zukunft und Gesellschaft mitgestalten können.“   

Joachim Goeres