BBS-Schüler Maisam Hosseini kam 2015 aus Afghanistan nach Deutschland – nun ist er Auszubildender
Von André Pichiri HAZ - Anzeiger Burgdorf vom 28.12.2021
Autos sind sein Ding: Maisam Hosseini macht eine Lehre zum Kfz-Mechatroniker. 2015 kam er als Flüchtling nach Deutschland. Foto: André Pichiri
Wennigsen. Als Maisam Hosseini sich 2015 auf den langen Weg nach Deutschland machte, trieb ihn dieser eine große Traum an. „Ich wollte hier einen Beruf erlernen, eine Ausbildung machen“, erinnert er sich. Geflüchtet vor dem Krieg in seiner Heimat Afghanistan, musste der damals 18-Jährige dafür jedoch mehr als nur eine neue Sprache lernen. Für den Analphabeten standen die Chancen denkbar schlecht. Sechs Jahre später steht er im Kfz-Betrieb von Thorsten Hof in Wennigsen als angehender Kfz-Mechatroniker vor dem Ausbildungsabschluss. Auch an der BBS Burgdorf ist man von seiner Leistung beeindruckt.
Hosseini hat die sympathische Ausstrahlung von Menschen, die Spaß an dem haben, was sie tun. Der junge Mann in dem schwarzen Overall hat gerade noch „unter einem Auto gelegen und geschraubt“, sagt er mit einem Lächeln. Dann nimmt er sich die Zeit, um seine Geschichte zu erzählen. Mit 16 Jahren verließ er Afghanistan, flüchtete zunächst ins Nachbarland Iran. Seine Familie blieb zurück – Eltern und zwei jüngere Geschwister. Allein auf sich gestellt, arbeitete er in einem Steinbruch. „Das war schwere Arbeit und auch gefährlich“, berichtet der
25-Jährige in gutem Deutsch.
Zwei Jahre Angst
Zwei Jahre habe er dort in der Angst gelebt, wieder abgeschoben zu werden. Dann fasste er den Entschluss, weiter nach Europa zu flüchten. Drei Monate brauchte er bis nach Deutschland, hauptsächlich zu Fuß. Über diese Zeit zu reden, fällt Hosseini sichtlich schwer. „Ich kann das Menschen schlecht beschreiben, die das nicht selbst erlebt haben. Es waren die schlimmsten Monate meines Lebens. Alles war sehr schwierig, das viele Laufen, der Hunger, die kalten Nächte“, sagt er. Von München aus ging es für ihn zunächst nach Hamburg, dann weiter ins Durchgangslager nach Friedland. „Nach drei Monaten wurden wir gefragt, wo wir jetzt leben wollen. Namen von Orten kannte ich nicht. Aber ich wollte gern in eine größere Stadt, weil ich dort bessere Chancen sah, etwas zu lernen“, erklärt Hosseini. So kam er nach Hannover, „für mein Leben war das die beste Entscheidung“, sagt er rückblickend.
„Arbeit“ war sein erstes Wort
Doch der Beginn war hart. „Ich konnte nicht einmal meinen Namen schreiben“, sagt der damalige Analphabet. Andere Flüchtlinge wären besser klargekommen, weil sie deutsche Wörter und Texte am PC oder übers Smartphone immerhin in die afghanische Schriftsprache übersetzen konnten. „Mir half das aber nicht weiter, weil ich ja auch das nicht lesen konnte. Da wurde mir klar, ich muss schnell die deutsche Sprache lernen, dazu Lesen und Schreiben“, beschreibt der 25-Jährige seine Anfangszeit. Ein Bekannter schrieb ihm alle Buchstaben in ein Heft. „Die habe ich dann gelernt. Irgendwann konnte ich das Wort Arbeit schreiben“, sagt Hosseini und lacht. „Das Heft habe ich noch heute.“
Der junge Afghane hatte Glück, dass Niedersachsen Ende 2015 gerade die sogenannten Sprint-Klassen als Modell einführte. An Berufsschulen lernten Flüchtlinge Deutsch und bekamen gleichzeitig einen ersten Einstieg in die Arbeitswelt, indem sie Berufsfelder kennenlernten. Hosseini kam zunächst an die Alice-Salomon-Schule in Hannover. Schnell bekam er eine klare Vorstellung davon, welcher Beruf in reizt: „Ich wollte Kfz-Mechatroniker werden. Da hieß es, das wäre sehr schwer – wahrscheinlich zu schwer für mich.“ Aber Hosseini blieb beharrlich. Über private Kontakte kam er schließlich an einen Praktikumsplatz in der Kfz-Werkstatt von Thorsten Hof in Wennigsen. Aus dem Praktikum wurde schließlich ein Ausbildungsplatz. Dreieinhalb Jahre später hat Hosseini seine Abschlussprüfung gerade hinter sich gebracht. Die Ergebnisse stehen noch aus. Hosseinis Chef, Thorsten Hof, ist jedoch voll des Lobes: „Handwerklich ist er richtig gut. Ich denke, da gibt es nicht viele Auszubildende, die auf seinem Level arbeiten können.“
Auch das technische Verständnis, das Mechatroniker angesichts der immer komplexeren Elektronik in den Autos mitbringen müssen, sei enorm für jemanden, der ohne Computer aufgewachsen ist. „Und menschlich ist er sowieso top. Freundlich, hilfsbereit, zuverlässig, loyal“, zählt Hof auf und lässt durchblicken: „Wir möchten ihn behalten“ – selbst wenn es mit dem Gesellenbrief nicht gleich im ersten Anlauf klappen sollte.
Führerschein ist in Arbeit
Das ist letztlich auch von den schulischen Leistungen abhängig. Seit 2017 besucht Hosseini die BBS in Burgdorf. Dass er als Analphabet nach Deutschland gekommen war, ahnte dort zunächst niemand. „Ich habe nichts gesagt. Aus Sorge, dass ich dann vielleicht nicht angenommen werde“, sagt er. Anstatt um Hilfe zu bitten, büffelte er lesen und schreiben und obendrein noch den Unterrichtsstoff. „Am Anfang hat er nur leere Blätter abgegeben. Mittlerweile steht er in einigen Fächern schon auf einer Drei“, sagt Lehrer Jens Ludwigs, dem Hosseini erst im vergangenen Jahr seine Vorgeschichte anvertraute. „Dieser Sprung in so kurzer Zeit ist schon außergewöhnlich“, ordnet der Pädagoge die Leistung seines Schülers ein.
Autos reparieren kann Hosseini mittlerweile schon ganz gut, fahren darf er sie auch bald. Die theoretische Führerscheinprüfung hat er bereits in der Tasche. Den praktischen Teil will er demnächst nachlegen. „Ich habe eine Pause gemacht, um mich ganz auf die Gesellenprüfung konzentrieren zu können“, verrät der 25-Jährige, der in Hannovers Südstadt wohnt. Auch das große Hobby Fußball musste deshalb erst mal hintenanstehen. Alles für seinen großen Traum: „Ich möchte hier in Deutschland bleiben und arbeiten. Hier liegt meine Zukunft.“