Schulen ergreifen die Initiative: Prävention soll Phänomen bremsen – Mobbern fehlt Unrechtsbewusstsein

Mobbing ist an vielen Schulen leider an der Tagesordnung. Die Berufsbildenden Schulen Burgdorf (BBS) haben das Problem für sich erkannt. Prävention, Sozialtraining und Offenheit sollen Abhilfe schaffen.
 
VON SANDRA KÖHLER (Anzeiger Burgdorf)
 
„Es gibt wohl keinen Schüler, egal an welcher Schulform, der nicht schon einmal gezieltes Mobbing erlebt hat: Sei es als Opfer, Täter oder als Beobachter.“ Diese erschreckende Beobachtung hat Ulrike Bode vom Team Sozialarbeit an der BBS gemacht. Von Ausgrenzung und Beschimpfungen über körperliche Übergriffe und Beleidigungen bis bösartige Posts im Internet reicht das Spektrum der Repressalien.
 
Um das Bewusstsein der Schüler für die Widerwärtigkeit solcher systematischen und andauernden Schikanen zu wecken, haben Bode und ihre Kollegen kürzlich das Schauspielkollektiv Neues Schauspiel Lüneburg mit dem Präventionsstück „Erste Stunde“ eingeladen. Darüber hinaus gibt es in der BBS regelmäßig Sozialtraining für die Schüler. Aufklärung statt disziplinarischer Maßnahmen ist der Ansatz, von dem sich die Pädagogen sich Erfolg erhoffen. Trotz allen Engagements muss Bode bekennen: „Für uns wird es immer schwieriger, mit dem Thema umzugehen.“ Auf ihr Vorgehen angesprochene Mobber hätten oft kein Unrechtsbewusstsein: „Das muss der aushalten, mir ging es auch schon so“, sei eine typische Äußerung. Auf der anderen Seiten machten zahlreiche Opfer ihre Lage aus Angst vor noch stärkeren Repressalien nicht öffentlich.
 
„Wenn sich uns jemand offenbart, machen wir nichts, was derjenige nicht will“, sagt Bode und ermutigt Betroffene, den ersten Schritt aus ihrer Leidensspirale zu machen. Denn neben drastischen disziplinarischen Maßnahmen wie Schul- oder Klassenwechsel gebe es auch andere pädagogische Optionen wie Klassenkonferenzen. Die allerdings seien sensibel zu handhaben: Täter und Opfer einfach so zur Aussprache zu bitten, könne auch nach hinten losgehen, sagt Bode.
 
Ohne Schuldzuweisungen und Strafen komme dagegen der Ansatz „No Blame Approach“ aus. Dabei wird aus Beteiligten und Unbeteiligten eine das Opfer unterstützende Gruppe zusammengestellt.

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Spielszene: 18 Stunden lang eingeschlossen
im Kartenraum hat Mobbingopfer Jürgen Rickert
(Andreas Püst) die ganze Erde mit dem
Finger auf der Landkarte bereist.

Foto: Sandra Köhler (Anzeiger Burgdorf)

 

Theaterstück macht die Schüler beklommen

Provokation regt zum Nachdenken an

VON SANDRA KÖHLER (Anzeiger Burgdorf)

Mobbing, das ist den 120 Schülern aus acht Klassen der BBS spätestens nach der Aufführung klar, ist kein Kavaliersdelikt. Wie sehr ein Opfer unter systematischer Herabsetzung leidet, bringt ihnen Schauspieler Andreas Püst vom Schauspielkollektiv Neues Schauspiel Lüneburg mit dem Einmannstück „Erste Stunde“ beklemmend intensiv nahe.

„Ich bin der Neue. Okay, bringen wir es hinter uns. Ich gebe Euch fünf Minuten. Fünf Minuten, in denen könnt Ihr mit mir machen, was Ihr wollt. Aber danach habe ich Ruhe für den Rest der Stunde.“ So fordert Püst in seiner Rolle als Jürgen Rickert die Schüler als vermeintlich neue Klassenkameraden am Anfang zum Mobbing geradezu auf. Erzählt von allen erlittenen Peinigungen, die darin gipfeln, dass er, 18 Stunden lang eingeschlossen im Kartenraum, seinen eigenen Urin trinkt.

Verunsichertes Kichern, Wegdrehen, Ignorieren. Für die Schüler ist es schwer mitanzuschauen, wie jemand einen derartigen Seelenstriptease hinlegt: „Das ist doch krank.“ Betroffen macht sie das Stück trotzdem: Weil beim Zuschauen auch eigenes Erleben und bekannte Gruppendynamik hochkommen, wie Püst erklärt. Umso wichtiger ist die Nachbereitung der Aufführung.

Im Gespräch mit dem Schauspieler und Julia von Thön, einer Fachkraft für Kriminalprävention, erkennen die jungen Leute: Jeder kann zum Opfer werden. Egal, ob Erscheinung oder Verhalten, vermeintliche Dummheit oder Migrationsherkunft: „Man findet immer etwas an jedem, wenn man will“, formuliert es eine Schülerin.

Zum Schluss haben die Fachleute noch Tipps, um dem Mobbing Herr zu werden: „Sucht Unterstützung im Klassenzimmer, wendet Euch an die, die nicht mitmachen. Das sind häufig die meisten. Wenn Ihr Euch zusammentut, könnt Ihr das Mobben beenden.“