Die Natur als Vorbild: Projektwoche an den Berufsbildenden Schulen Burgdorf beschäftigt sich mit dem Thema Bionik
Von Sandra Köhler - HAZ Anzeiger Burgdorf vom 02.02.2018

Burgdorf. „Mir war gar nicht klar, dass das Thema so vielfältig ist und es so viele Möglichkeiten gibt, etwas daraus zu machen“, beschreibt Charlotte etwas, was man den bionischen Wow-Effekt nennen könnte. Bionik ist die Wissenschaft von der Übertragung natürlicher Phänomene auf die Technik, und Charlotte ist fasziniert von der Beziehung zwischen Haifisch und Schiffsbau. „Ein Hai weiß nicht, dass sich an ihm keine Algen bilden. Aber dass Menschen sich das für Schiffe zunutze machen können, ist toll.“

Inspirationen aus der Natur

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Bei ihrem verbesserten Kleiderhaken machen sich die Schüler, hier mit BIOKON-Mitarbeiterin Jessica Rudolph, den FIn Ray Effekt zunutze. Sandra Köhler

Eigentlich hat sich die Elftklässlerin am Beruflichen Gymnasium der Berufsbildenden Schulen (BBS) Burgdorf dem zahlenintensiven Thema Wirtschaft verschrieben. Doch die Projekttage zum Thema Bionik fand sie derart spannend, dass sie freiwillig mehr Stunden dafür aufwandte, als sie gemusst hätte. Denn die Aufgabe, Alltagsprodukte wie eine Shampooflasche, einen Stuhl, einen Kleiderhaken oder eine Tasse auf Stärken und Schwächen zu untersuchen und mit Inspirationen aus der Natur zu verbessern, hatte sie fasziniert. Zum einen wegen der Möglichkeit, diese Herausforderung interdisziplinär anzugehen und nicht nur Biologie, sondern auch Wirtschaft, Technik, Physik, Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit in den Blick zu nehmen. Zum anderen, weil dabei viel Praxis auf dem Stundenplan stand.

Kerstin Kuhlmann hilft den Schülern beim Sezieren von Fischen. Sandra Köhler

So konnten Charlotte und ihre Klassenkameraden bei ihren Versuchen ganz wie Wissenschaftler herausfinden, was es zum Beispiel mit den bionischen Phänomenen Fin Ray Effekt, dem Lotuseffekt und der Funktionsweise eines Scharniers auf sich hat. Für Letztere legten die Jugendlichen das Gelenk eines Rehfußes frei. Beim Sezieren eines Knochenfisches konnten sie dann die Entdeckung des Bionikers Leif Kniese nachvollziehen: Dessen Schwanzflosse biegt sich bei einem seitlichen Druck nicht wie erwartet weg, sondern in Richtung des Drucks. Faszinierend ist auch der sogenannte Lotuseffekt, durch den Pflanzen wie Tulpen mittels spezieller Oberflächenstruktur und Wachsbeschichtung quasi selbstreinigend sind.

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Die Schülerinnen lassen Flüssigkeit von einem Tulpenblatt abperlen

Diese Beobachtung inspirierte Marie, Charlotte, Noemi und Johanna zur Idee, eine Shampooflasche mit einer ähnlich wirkenden Beschichtung aus Seerosen zu versehen. „Damit bekäme man auch die Reste aus der Flasche“, stellten sie sich vor. Auch was den Inhalt der Verpackung angeht, haben sie sich einiges überlegt. Das Shampoo könne sich doch auch eben jenen Abperleffekt zunutze machen und damit die Bildung von Locken vermeiden, dachten sie sich. Im Rahmen ihrer Konzeption bezogen sie auch die Nachhaltigkeit mit ein: keine Parabene und Silikone, Herstellung in Deutschland, um kurze Transportwege zu sichern und die Umwelt zu schützen. Zudem sollten 10 Prozent des Erlöses in Naturschutzprojekte fließen.

Ihre Mitschüler entwickelten derweil Konzepte für eine Bambustasse mit wegklappbarem Henkel, einen Stuhl, dessen Lehne sich dank Fin Ray Effekt dem Rücken optimal anpasst, einen Regenschirm, der die Farbe nach dem Vorbild der Chamäleons wechseln und an die Kleidung anpassen kann, sowie einen Kleiderhaken, der sich ebenfalls unter Ausnutzung des Fin Ray Effektes so an die Tür anpasst, dass diese nicht verkratzt wird.

Lob vom Experten

Die Schüler zweier elfter Klassen der BBS Burgdorf stellen BIOKON-Geschäftsführer Dr. Rainer Erb und seiner Assistentin Jessica Rudolph (von links) ihre bei den Bionik-Projekttagen erarbeiteten Verbesserungen für Alltagsprodukte vorgestellt. Sandra Köhler

Rainer Erb, Geschäftsführer des Bionik-Kompetenznetzes BIOKON, für dessen Projekt „Systemisch denken in der Berufsausbildung“ die BBS Burgdorf Modellschule und Durchführungspartner ist, zeigt sich begeistert von den Vorschlägen der Schüler. „Das sind ganz tolle Ideen“, meint er. Die Schüler hätten sich intensiv mit den Aufgaben beschäftigt, vieles würde in der Praxis tatsächlich funktionieren. Ob es die Ideen allerdings zur Marktreife schaffen würden, ist etwas anderes. Aber darum ging es bei der Projektwoche auch nicht. Ziel war vielmehr, systemübegreifend zu denken und eigene Ideen zu entwickeln. Und genau das, sagt Erb, sei den Jugendlichen eindrucksvoll gelungen.

Fotos: Sandra Köhler