Beschleunigung, Bewegung, Energieumwandlung: Fachgymnasiasten dürfen im Sommer selbst abheben

Von Joachim Dege,  HAZ - Anzeiger Burgdorf/Uetze vom 19.12.2017

Burgdorf. „Die Schüler müssen das nachvollziehen können und selbst erleben können.“ Physiklehrer Martin Claes vom Fachgymnasium Technik an der BBS glaubt, dass er den Dreh heraus hat. Die Grundlagen der Elektrotechnik vermittelt er seinen Elftklässlern mit professioneller Unterstützung erfahrener Segelflieger und Fluglehrer sowie einem Segelflugzeug.

Montagfrüh in der Kraftfahrzeughalle der BBS am Berliner Ring: Längst nicht jeder Gymnasiast ist nach dem dritten Adventwochenende so ausgeschlafen, wie er es sein sollte. Auf dem Lehrplan steht das Fach Physik. Nicht im Unterrichtsraum wie sonst, sondern in der Kfz-Halle. Die ist groß genug, dass dort ein Segelflugzeug hineinpasst – eine LS 8 mit 15 Metern Spannweite. Claes hat das Fluggerät des Luftsportvereins (LSV) Burgdorf in Ehlershausen, wo er Mitglied ist, vorher auseinandergebaut, dann in die Halle geschoben und schließlich wieder zusammengesteckt.

Um 8 Uhr kann der Unterricht für die erste von zwei Schülergruppen beginnen. Doch nicht Claes steht am Lehrerpult. Fluglehrer Volker Stüwe hat sich vor der Klasse 11T20B aufgebaut. Er berichtet 16 jungen Männern und einer jungen Frau vom Luftfahrtpionier Karl Wilhelm Otto Lilienthal und dessen ehedem bahnbrechenden Forschungsergebnissen, lässt die Geschichte der Fliegerei in groben Zügen Revue passieren, erläutert mit Verve die Grundlagen des Segelfliegens, das er selbst seit 1964 betreibt. Aller Müdigkeit zum Trotz: Dabei schläft kein Schüler ein.

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                                                                                                         Foto: Dege
Physiklehrer Martin Claes will seinen Schülern Unterricht zum Anfassen bieten.

Unterricht zum Anfassen wolle er anbieten, sagt Claes. Das mache es nämlich leichter, komplexe naturwissenschaftliche Phänomene zu verstehen: Beschleunigung, Bewegung, Energieumwandlung. Claes hat sich deshalb der Dienste seiner zwei LSV-Kameraden Stüwe und Jürgen Habel versichert. Stüwe ist mehr der Leistungsflieger, dem ein Flug nicht weit genug geraten kann. Habel, der beim Deutschen AeroClub für die Ausbildung der Fluglehrer verantwortlich zeichnet, eher „Genussflieger“ wie Claes, der aus der Luft dem Anblick der Landschaft frönt.

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                                                                                                         Foto: Dege
Die beiden Fluglehrer Jürgen Habel (in Sitzhaltung) und Volker Stüwe erklärten einem Gymnasiasten das Cockpit und die dort verbaute Technik.

Zwei Gymnasiasten packen die Gelegenheit beim Schopf. Franziska Bohne und ein Mitschüler schlüpfen hinein ins enge Cockpit des Segelflugzeugs und lassen sich die Technik erklären. Etwa den Knopf, mit dem sich ein von einem Zweitaktmotor angetriebener Propeller hinter dem Cockpit aus dem Flugzeugrumpf ausfahren lässt, wenn die Aufwinde gerade durch Abwesenheit glänzen und der Pilot im Horiziontalflug es anders nicht nach Hause schafft. Für Bohne ist es eine Premiere. Sie saß in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal in einem Flugzeug.

Claes will seiner Schülerin dieses Flugvergnügen verschaffen. Sein Plan ist, am Fachgymnasium eine Arbeitsgemeinschaft einzurichten. Wenn die Theorie erst sitzt, könnten die Schüler im nächsten Sommer auf dem Segelflugplatz in Ehlershausen in die Luft gehen, kündigt er an. So wie Kiro Wegener. Der 17-Jährige gewann am Ende der Unterrichtseinheit einen Freiflug. In einem Wettbewerb war sein Papierflieger am weitesten geflogen. Allein, Wegener hat Flugangst und will den Gutschein deshalb als Weihnachtsgeschenk weiterreichen.